TAZ 21.12.2006
Gelsenkirchen saniert Sanierer
Das Hans-Sachs-Haus geht nach misslungener Sanierung für eine zweistellige Millionensumme zurück an die Stadt Gelsenkirchen. Der Kern des ehemaligen Rathauses soll abgerissen werden.
VON HOLGER PAULER
Die Stadt Gelsenkirchen will eines ihrer bekanntesten Bauwerke zurückkaufen. Heute Abend werde der Rat der Stadt einen entsprechenden Beschluss zur Zukunft des Hans-Sachs-Hauses fassen, sagte Stadtsprecher Martin Schumann gestern zur taz. "Das Vertragsverhältnis zwischen den alten Investoren wird beendet." Das Haus geht wieder in den Besitz der Stadt über. Damit wird ein knapp sechs Jahre alter Irrtum zumindest teilweise korrigiert.
Gelsenkirchens damaliger Oberbürgermeister, der heutige NRW-Bauminister Oliver Wittke (CDU), hatte das ehemalige Rathaus zur Jahrtausendwende an die Deutsche Bank-Tochter Xeris und den Baukonzern Heitkamp für einen Euro pro Jahr und einen Zeitraum von 25 Jahren verpachtet. Ziel war die Total-Sanierung des Hauses. "Das Angebot des Konsortiums war das einzige, das die Stadt damals geprüft hat", sagt der Architekt Alfred Luggenhölscher (siehe Interview).
Die Stadt verpflichtete sich gleichzeitig, das Gebäude zurückzumieten. Der Preis blieb zunächst undefiniert und sollte sich nach den Kosten für die Sanierungsarbeiten an dem mehr als 70 Jahre alten und vom Bauhausstil geprägten Gebäude richten.
Nun will Gelsenkirchens Oberbürgermeister Frank Baranowski (SPD) aus dem Sanierungsvertrag aussteigen. Er hat dabei neben seiner eigenen Fraktion auch die Kollegen von CDU, FDP und Grünen auf seiner Seite. Grund für den Rückzieher sind explodierende Sanierungskosten. Die Stadt hatte auf Auflagen verzichtet. Ursprünglich waren die Planer von 12,5 Millionen Euro ausgegangen, zuletzt standen 143 Millionen Euro im Raum. Gerüchten zufolge ist die hochverschuldete Kommunen nach zähen Verhandlungen nun bereit, 20 Millionen Euro an die Hans-Sachs-Haus-Sanierer zu bezahlen. "Die tatsächlich Baukosten sind geringer als 20 Millionen Euro", sagt Stadtsprecher Schumann. Stadt und Investoren hätten lange über die geleistete Arbeit gestritten. "Jetzt gibt es ein belegbares Ergebnis", so Schumann. Oberbürgermeister Baranowski hatte stets versichert, dass er einem Rückkauf "nicht um jeden Preis" zustimmen werde.
"An sich ist es sinnvoll, öffentliche Gebäude an private Investoren zu veräußern, um die Haushaltsbilanzen zu entlasten", sagt Raimund Schirmeister, Wirtschaftswissenschaftler der Universität Düsseldorf. Die Kommunen könnten dadurch flexibler wirtschaften. Allerdings müssten die Geschäfte vor Vertragsabschluss geprüft werden. "In Gelsenkirchen wurde die Substanz des Gebäudes vermutlich falsch eingeschätzt", so Schirmeister.
"Die Investoren haben von Anfang an auf den Abriss gesetzt", sagt dagegen Roland Günter, Kunsthistoriker und Vorsitzender des Deutschen Werkbunds NRW. Es seien Baumängel erfunden, Prozesse falsch gesteuert worden, um das Verfahren in die Länge zu ziehen und zu verteuern. "Das erinnert sehr stark an die Abrissmentalität des Ruhrgebiets in den 1960er Jahren", sagt Günter. Dabei sei das Hans-Sachs-Haus ein Gebäude, das der Industrie-Stadt Gelsenkirchen in den 1920er Jahren so etwas wie Würde gegeben habe. Das Hans-Sachs-Haus war nicht allein als Rathaus geplant, sondern als Bürohaus mit städtischen und externen Büroräumen, mit Geschäften, Restaurants, einem Hotel sowie einem großen Konzertsaal. "Es stand für den Aufbruch zur Demokratie", sagt Roland Günter.
Eine Sanierung innerhalb der alten Bausubstanz scheint mit dem neuen Deal jedenfalls vom Tisch. "Es wird darauf hinauslaufen, dass ein Großteil des Gebäudes abgerissen wird", sagt Stadtsprecher Schumann. Die Fassade aus den 1920er Jahren soll demnach stehen bleiben, die angebaute Fassade aus den 1950er Jahren sowie der Rest des Gebäudes soll abgerissen werden. Dahinter soll nach Plänen eines Architekturbüros auf 22.000 Quadratmetern ein Mehrzweckgebäude entstehen. Dadurch, dass das Gebäude den Status des Denkmalschutzes verloren hat, habe die Stadt freie Hand, so Schumann. Mit den Arbeiten soll im Herbst 2007 begonnen werden.
taz NRW vom 21.12.2006, S. 2, 145 Z. (TAZ-Bericht), HOLGER PAULER
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